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Der „Kubist“ Steffen Matthes.

Die Collage erst macht die „Neuhof“-Arbeit zu einer Art Hybridbild, einer Art „Fotogemälde“, ein aus einzelnen Fotografien aufgebautes Kunstbild, das die figürlich konkrete Welt nurmehr als Zellkern in seinem Innern trägt. In seiner raffinierten Bildarchitektur wird die „dreidimensionale Mannigfaltigkeit der Außenwelt“ 12  mit Hilfe der strengen Rasterung in die Fläche des collagierten Bildes gezwungen.

Streng genommen ein umgekehrter Weg den die „Urväter“ des Kubismus Braque, Picasso und Léger gingen, indem sie genau diese Tiefendimension des Raumes mit Hilfe kubistischer Mittel weitergeben wollten, die „[…] Körperlichkeit der Dinge und ihre Lage im Raum „darzustellen“, anstatt sie durch illusionistische Mittel vorzutäuschen.“13  

Und doch treffen sich genau hier wieder die bildnerischen Vorstellungen der Kubisten mit der Arbeitsweise von Steffen Matthes. Denn was Matthes Bild eben auch nahe legt, ist der Verzicht auf perspektivische Gesetzmäßigkeiten. Die Konvention der Totale in der Architekturfotografie weicht dem Blick durch das wild funkelnde Facettenauge. Die simulierte Dreidimensionalität wird getauscht gegen eine simultane Mehransichtigkeit, die zwar ausschließlich in der Frontalität argumentiert, aber darüber hinaus die gleichzeitige Wahrnehmung ausdehnt auf Bereiche, die sonst nur im räumlichen und zeitlichen Nacheinander wahrnehmbar sind. Es geht somit auch um eine Verdichtung von Wahrnehmung, die sich hier in der ausgeprägten fragmentarisierten Multiperspektivität finden lässt.

Aber es ist nicht allein Matthes, der sich mit seiner Kamera um sein Objekt herumbewegt, sondern auch das Objekt selbst, die Stockwerke des Hauses unterliegen der Veränderung, werden Transformiert, gleichsam „bewegt“: mobilis in mobili – der Künstler bewegt sich im Innern eines ihn „umtosenden“ Bewegungsstromes veränderter Baustoffe. Seine daraus hervorgegangene Collage erst bringt dieses betriebsbedingte „Rauschen“ permanenter Veränderung zu einem kunstvollen Stillstand. Der Betrachter ist nun in der Lage in der artifiziellen Konstruktion des Fotomosaiks die Baufortschritte gleichsam als Standbild individueller künstlerischer Interpretation wahrzunehmen.

Steffen Matthes stellt sich ganz bewusst mit der Fotografie in die Tradition dieser radikalen Wende der Kunst der Neuzeit: Was aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst einmal der Malerei vorbehalten war, wird jetzt mit einem technischen Medium bestritten, das aufgrund seiner technologischen Determiniertheit diese Entwicklung praktisch „verpasst“ hat.

Oder anders: Kubistische Fotografie im eigentlichen Sinn hat es mit der hier vorgeführten Radikalität praktisch nie gegeben. In der Fotocollage von Steffen Matthes wird die „dreidimensionale Mannigfaltigkeit der Außenwelt“ 14  mit Hilfe der strengen Rasterung in die Fläche des collagierten Bildes gezwungen. Genau genommen ist dies ein umgekehrter Weg den die „Urväter“ des Kubismus Braque, Picasso und Léger gingen, indem sie genau diese Tiefendimension des Raumes mit Hilfe kubistischer Mittel wiedergeben wollten, die „[…] Körperlichkeit der Dinge und ihre Lage im Raume „darzustellen“, anstatt sie durch illusionistische Mittel darzustellen.“15  Verwandtschaften sind gerade in jenen Künstlern zu suchen, die gewissermaßen auf dem von den Kubisten bereiteten Boden antraten, die Kunst zu einer neuen Stufe der Abstraktion zu führen. Sonia Delaunays Stoffcollage Couverture (Quilt) von 1911

 

 

sowie Paul Klees wunderbares Bild Alter Klang etwa, aus dem Jahre 1925 (Abb.1), oder sein wenige Jahre später entstandenes etwas wilderes Anstieg eines Städtchens von 1930 (Abb. 2)

 

 

 

 

weisen in ihrem Hang zu einem abstrakten Farblyrismus deutliche Parallelen zur Bildsprache von Steffen Matthes auf. In den streng voneinander abgegrenzten Farbfeldern ist bereits die Mosaikstruktur von Steffen Matthes Fotoarbeit vorweggenommen. Die kreative Diszipliniertheit mit der Matthes seine Bildarchitekturen aufbaut, legt zudem eine gedankliche Nähe zum strengen Formenvokabular einiger Vertreter der de Stijl Bewegung, etwa Piet Mondrian

 

 

oder auch an Vilmos Huszárs Glaskomposition (1921, Amsterdam) denken. Diese „Strenge“ im Aufbau ergibt sich bei Matthes durch die normierten Maße seiner Bildkader die natürlich typisch für das Medium der Fotografie sind. Erst durch die raffinierte Farbdramaturgie, sowie die dramaturgisch geschickten Bildverknüpfungen und visuellen Anschlusspunkte bringt Matthes jenen Anteil organischer Auflockerung hinein, die das Bild zu einem ewig aufregenden wild-wuchernden Bildgespinst machen.

von Sebastian Knoll, Kunstwissenschaftler


12 Daniel Henry Kahnweiler: Der Weg zum Kubismus.  Stuttgart 1958, S. 108. / 13 Ders., ebd. S. 50. / 14 Ders., ebd. S.108. / 15 Ders. ebd., 50.